Von gewaltigen Klängen bis zu berückend zarten Tönen – der Pianist Mamikon Nakhapetov
Am 20. Oktober eröffnete das erste Konzert die 20. Saison bei Klassik im Kloster. Als Prof. Dr. Manuela Jahrmärker den Pianisten Mamikon Nakhapetov ansprach, zögerte er nicht lange und stellte dazu eigens 20 Klavierstücke zusammen. Da man 2023 sowohl den Todestag von Pyotr Tschaikowski beging als auch den 150. Geburtstag von Sergei Rachmaninoff feierte, präsentierte der georgische Musiker, der in renommierten Wettbewerbe gewann und inzwischen in München lebt, Stücke dieser zwei Komponisten und dazu ein Werk von Mozart sowie Liedtranskriptionen von Franz Schubert.
Mit dem Januarstück aus Tschaikowskis „Jahreszeiten“ ließ der Pianist die vielen Zuhörenden sozusagen „Am Kamin“ sitzen, eine erzählend gefühlvolle und sanfte Musik, zwischendurch auch etwas zügiger und mit einem kaum hörbaren Schluss endend. Flott und schnell, lustig und tänzerisch ließ er mit perfekter Technik den Februar gleichsam tanzen („Karneval“). Die Lerche, im Märzstück, präsentiert sich als eine im Sopran leichte, aber melancholisch dahineilende Melodie, auf die der Bass antwortet. Dank seiner ungemein fantasievollen Einfühlung in die assoziativ vorgegebenen Situationen, dank seiner bestechenden Fingerfertigkeit und seines vielfältig variierten Anschlags, der zupackt, aber auch alle Varianten des Piano und Pianissimo ausleuchtet, entstanden unter Mamikon Nakhapetivs Fingern musikalische Kleinodien. Besonders zeigte sich das auch beim „Scherzo humoristique“ aus op. 19 von Tschaikowski. Nakhapetov jagte geradezu über die Tastatur, jeder Ton sitzt bei ihm, traumhaft sicher sind die Akkordgriffe, und alles verwebt sich zu schöner Musik mit einem markanten Schluss. Bei Liszts Transkriptionen von vier Schubert-Liedern wie dem ruhigen „Ständchen“, vom Müller und dem stoisch dahinfließenden Bach, der „Liebesbotschaft“, traten die – bei Schubert gesungenen – Melodien leuchtend hervor und waren fast träumerisch und körperlich zu spüren. Doch dann setzte beim „Erlkönig“ ernste Dramatik ein, aber auch höchste Virtuosität. Der Pianist hämmerte die Oktaven in rasendem Tempo und doch mit Klarheit, stampfte mit einem Fuß, ebbte kurz ab, dann rasten die Hände und Finger erneut über die Tasten, sich steigernd zu den dramatischsten Momenten, den Hilferufen des sterbenden Kindes – ein kurzes Innehalten, und dann beendet ein letzter Akkord diese grausige Szene.
Düster schon wegen der Molltonart und wegen vieler chromatischer Durchgänge schmerzlich klingt Mozarts Rondo a-moll KV 511, das der Komponist für einen verstorbenen Freund schrieb. Die Musik kommt ruhig und fein daher; alles ist bei Nakhapetov auf Klangschönheit, auf erhabene Ruhe und Klarheit und auf filigranste Zeichnung angelegt. Der Georgier fühlt mit jeder harmonischen Spannung, mit jeder Auflösung eines Akkordes bis hin zum Schluss mit, wenn er ganz still den letzten Ton setzt. Danach spielte der Dozent an der Musikhochschule München die acht „Etudes-Tableaux, op. 33“, eigentlich acht Übungsstücke zur Steigerung der Fingertechnik. Hier hat der Pianist nochmals die Möglichkeit, sein großes virtuoses Können auszubreiten. Bei Nakhapetov ist jeder Ton und jedes einzelne Element sorgsam herausgearbeitet und gespielt. Trotz der Tonfülle ist alles klar und jede Linie genau durchgezogen. So entstehen Klanguniversen: zart und melodieverloren, spielerisch und übermütig; die leisen und leisesten Regionen zum Sprechen bringend; doch schreckt der Pianist, wo es denn angebracht ist, auch vor Härte nicht zurück, ohne aber je die Zuhörer (undden Saal) zu überfordern. In sich versunken und körperlich mitgehend gibt der Virtuose seinem Spiel zusätzlich eigenen Charakter. Starker Applaus ertönte und verlangte nach Zugaben. Ein zartes Wiegenlied, bei dem Nakhapetov die Tasten förmlich streichelte und mit einem feinen Schluss endete, erfreute die Zuhörerschaft, doch der Beifall ließ nicht nach. Und der Virtuose setzte sich sofort an den Flügel und zeigte noch einmal – und am Ende des ohnehin schon fordernden Programms – mit Liszts f-moll-Etüde sein Können. Extrem rasende Akkord-Läufe, vielfältige rhythmische Zusammenhänge meisterte er mit scheinbarer Leichtigkeit. Eine Vielzahl farbiger Töne entriß er fulminant dem Flügel, und der donnernde Schlussakkord, wie von einem Orchester gespielt, erfüllte mit strahlendem Klang den Raum. Stehende Ovationen und tosender Applaus feierten den Virtuosen.
Johann Grad